Anne Bestvater dehnt sich in der Kletterhalle

Fokus auf Beweglichkeit: In der Wand

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Fokus auf Beweg­lich­keit: In der Wand

Alma Bestvater gehört zu den besten Sport- und Wettkampfkletterinnen Deutschlands. Kraft sei wichtig, sagt Bestvater, aber ohne Beweglichkeit gehe nichts.

Stillstand? Undenkbar für Alma Bestvater. Sich nicht zu bewegen ist anstrengend für sie. Anstrengender als jedes Training. Bestvater ist 25 Jahre alt und gehört zu den besten Sportkletterinnen Deutschlands. Ihre größte Angst? Eine Verletzung, die so schlimm ist, dass sie nicht mehr professionell bouldern kann. Damit es so weit nicht kommt, muss sie sich gut vorbereiten – und genau auf ihren Körper achten. Beweglichkeit ist dabei entscheidend.

Boulder kommt aus dem Englischen und heißt übersetzt Felsblock. Beim Bouldern klettern die Sportlerinnen und Sportler ohne Seil an Wänden, die gerade so hoch sind, dass sie ohne Verletzungsgefahr abspringen können. Der Einstieg ins Bouldern ist im wahrsten Sinne des Wortes niedrigschwellig: direkt am Boden. Das geht draußen wie drinnen, und da es zumindest anfangs keiner speziellen Ausrüstung braucht, hat sich ein Hype entwickelt. Überall in Deutschland sind in den vergangenen Jahren Boulderhallen entstanden.

Alma Bestvater ist an diesem Tag in der Boulderhalle in Weyarn in Oberbayern. Die Berge der Alpen beginnen gleich am Horizont, der Winter hat dort schon begonnen. Im Sommer fährt Alma Bestvater manchmal auch in die Berge, um dort zu klettern, teilweise auch mit Seil, ins Montafon nach Österreich zum Beispiel. Doch fürs Boulder-Training zieht sie in der Regel die künstlichen Boulder in der Halle vor. Dort finden schließlich auch die meisten Wettkämpfe statt.

Wenn Alma Bestvater eine solche Wand hochklettert, sieht es einfach aus. Mühelos. Ein Griff hier, ein Tritt dort, noch ein Griff – schwupp – ist sie oben. In kurzen Pausen zwischen zwei Kletterrouten sitzt Alma Bestvater auf der dicken Turnmatte am Boden der Boulderhalle und macht einen Spagat. Aus dem Spagat heraus lehnt sie sich nach vorne, stützt sich auf ihre Unterarme, ihr Oberkörper hängt flach über der Turnmatte. Sie verzieht keine Miene. Kein Zeichen von Anstrengung in ihrem Gesicht zu sehen. Es fällt ihr leicht. Sie macht das jeden Tag.

Sich ausführlich zu dehnen ist fester Bestandteil des Trainings. Um erfolgreich zu bouldern, braucht es mehr, als nur Muskelkraft. Auf die richtigen Bewegungen kommt es an. Bestvaters Beweglichkeit ist ein wesentlicher Teil ihres Erfolgs. „Im besten Fall weiß ich schon am Boden, wie ich mich an der Wand bewegen muss“. Klar kann man mit Kraft mangelnde Beweglichkeit ausgleichen, oder fehlende Technik, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad”, sagt Bestvater. Am Ende ist es ein Zusammenspiel aus Kraft, Technik und Beweglichkeit.

Fokus auf Beweglichkeit: In der Wand



Bevor sie das Training an der Wand beginnt, bewegt sie jedes Gelenk: Finger, Hände, Arme, Schultern, Hüfte Knie und so weiter. „Es ist wichtig, den Körper genau wahrzunehmen“, sagt Bestvater. An ihrem rechten Ellenbogen ist eine große Schürfwunde. „Ganz normal“, sagt sie. Um das linke Handgelenk ist Sport-Tape gewickelt, das stabilisiert. Ihre Hände sind weiß vom Kalk. Immer wieder taucht Bestvater sie in einen kleinen Beutel zu ihren Füßen. Der Kalk hilft Feuchtigkeit zu absorbieren. Das schützt vor dem Abrutschen. Bestvater ist zierlich. Ihre kleinen Ohrstecker glitzern, um den Hals trägt sie eine feine, silberne Kette. Erst wenn sie sich bewegt, treten die ausgebildeten Muskeln hervor. Wenn sie bouldert, schieben sich die Muskeln, je nach Bewegung, an Armen und Rücken unter der Haut hin und her. Bestvater kann sich mit einem Arm an einer Klimmzugstange hochziehen.

Das erste Mal in einer Kletterwand hing Bestvater bei einem Schulausflug in den Thüringer Wald. Sie erinnert sich noch genau. Die Route war nicht schwer, aber es hat ihr Spaß gemacht. „Es hat sich irgendwie richtig angefühlt“, erzählt Bestvater. Deswegen meldet sie sich kurz darauf beim Deutschen Alpenverein an. Da ahnt sie noch nicht, dass sie bald in Russland, den USA, in der Schweiz und Japan auf Wettkämpfen klettern wird.

Als das Internationale Olympische Komitee 2016 die Aufnahme von Sportklettern in das Olympische Programm beschließt, zieht Bestvater nach München, um dort am Stützpunkt zu trainieren. Neben dem Training studiert sie Sportwissenschaften an der Technischen Universität. Bei den Deutschen Meisterschaften 2019 erkämpft sich Bestvater den ersten Platz in der Disziplin Olympic Combined. Ein Wettkampf, der drei Disziplinen vereint: Einmal geht es um Schnelligkeit, einmal darum, wie viele Versuche die Sportler für einen Boulder brauchen und einmal um die Höhe, die innerhalb von sechs Minuten zurückgelegt wird.

Ein Jahr darauf ist das passiert, wovor Bestvater am meisten Angst hatte. Sie hat sich verletzt. Beim Abstützen auf einem Bouldergriff reißt ein Band im Ellenbogen. Das tat weh, aber viel schlimmer war die Enttäuschung. Die Wettkampfsaison hatte noch nicht richtig angefangen, da musste Bestvater abbrechen. Darauf folgten sechs Monate Stillstand. Bestvater war gezwungen das zu tun, was sie überhaupt nicht gut kann: Sich nicht bewegen. Sechs Monate kein richtiges Training. In dieser Zeit wird Bestvater von der Profisportlerin zu einer durchschnittlichen 25-Jährigen, die studiert, im Lockdown Netflix-Serien schaut und wartet. Nicht bis der Lockdown vorbei ist, sondern bis sie endlich wieder bouldern kann.

Sie verliert beinahe all ihre Muskelkraft in Armen und Händen. Ein Albtraum. Eigentlich. Bestvater besiegt den Rückschlag mit ihrem knallharten Pragmatismus. Einem, der selten bei einer 25-Jährigen anzutreffen ist. Sie trinkt Kaffee, und sie macht jeden Tag Yoga. So kann sie dem Stillstand entkommen und sie bleibt vor allem eines: beweglich. „Wenn es um Beweglichkeit geht, ist Regelmäßigkeit alles“, sagt Bestvater.

Nach sechs Monaten kann sie dann endlich wieder trainieren. Sie weiß: Der größte Fehler ist es, zu schnell zu viel zu wollen. Das funktioniert nicht. Also trainiert sie mit Geduld auf das Level hin, das sie vor ihrer Verletzung hatte. Ihr Team unterstützt sie. Denn obwohl die jungen Kletterinnen und Kletterer am Münchner Stützpunkt oft gegeneinander antreten und um Startplätze bei Wettkämpfen konkurrieren, sind sie befreundet und feuern sich gegenseitig an. Ob das nicht schwierig ist, trotz Konkurrenz befreundet zu sein? Auch das sieht Bestvater pragmatisch. Es gibt klare Leistungskriterien in einem Wettkampf. Wenn man die nicht erfüllt, liegt es daran, dass man selbst nicht gut genug war. So einfach ist das.

Zurück Richtung München besucht sie dann noch eine natürliche Boulderwand. In Buchenhain am Isarufer gibt es eine Felsformation, die Hobby-Kletterer zum Klettergarten erkoren haben. Sie kommen mit dem Fahrrad, legen Matten aus und los geht’s. Für Alma Bestvater ist es eine Abwechslung und eine Erinnerung an die ersten Kletterversuche im Thüringer Wald. Für echtes Training wird sie weiter in die Halle gehen.

Die nächste Wettkampfsaison startet im April 2022. Das nächste große Ziel? „Nochmal Deutsche Meisterin werden“, sagt Bestvater, „das wäre schon toll. Und eine richtig gute Weltcup-Saison.“ Und was ist mit Olympia? „Mal sehen“, sagt Bestvater. Jetzt heißt es erstmal: Trainieren, sich nicht zu verletzen und in Bewegung zu bleiben.

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